Werken: Naturmaterialien als Lehrmeister
Die Hände müssen unermüdliche Diener der Phantasie sein
(J.W. von Goethe)
Der Wille des Kindes wird geschult an den Stoffen der Erde, die ihm als Widerstand entgegentreten. Wichtig dabei ist, dass der Schüler immer seine eigene Phantasie und seinen Willen einbringen kann, die jedoch, durch die Begegnung mit Holz, Ton, Metall und Stein, erdbezogen bleiben. Die Naturmaterialien werden so zu Lehrmeistern, die das eigene Schaffen an die Welt anknüpfen.
Ein übergeordneter Aspekt
Das Erwerben der Geschicklichkeit wird einerseits angestrebt, um handwerkliche Erfolge zu erzielen, andererseits auch deshalb, weil «die Fingergeschicklichkeit im hohen Masse Lehrer der Elastizität unseres Denkens ist». Es wird mittelbar durch das Werken auch kognitives Lernen und Arbeiten gefördert. Hieraus wird deutlich, wie die Gleichwertigkeit aller Unterrichtsinhalte und Erziehungsmittel dem Werkunterricht seinen Stellenwert und seine Verantwortung zu misst.
Aus dem Lehrplan der Waldorfschule, Tobias Richter
Werken ist Tätigsein mit den Händen. Schon in dem Moment, wo das Kind mit seinen Händen ins Schaffen kommt, wird seine Willenskraft angeregt. Betrachtet man das Werken in einem grossen Überblick, so zeichnen sich zwei Hauptrichtungen ab. Die eine Richtung ist das künstlerische, die andere das handwerkliche Schaffen. Beide Richtungen sind in ihrem Ansatzpunkt verschieden, wobei sie sich nicht abgrenzen, sondern gegenseitig durchdringen.
Das künstlerische Schaffen
Blick man auf das Künstlerische, so ist dort ein Schaffen aus dem Augenblick gefragt, innere Regsamkeit, Beweglichkeit, Phantasie wird erübt. Das eigene unmittelbare Tätigsein, tritt an Stelle von vorgefassten Bildern und Vorstellungen.
Das handwerkliche Arbeiten
Das Handwerkliche kommt gerade von der anderen Seite. Es braucht hier Gedankenkräfte. Der Gedanke, die Vorstellung wird herunter geführt ins praktische Tun. Zuerst wird ein Plan, eine Vorlage angefertigt, aus der der ganze Werdegang ersichtlich ist.
Der Werkstoff
Das Kind lernt im Laufe der Jahre im Werken verschiedene Materialien wie Holz, Ton, Metall und Stein kennen. Durch das Arbeiten nimmt es auf verschiedenste Art und Weise deren Charakter in sich auf. Der Werkstoff ist an sich ein grosser Lehrmeister für den jungen Menschen, an ihm erfährt er Widerstand, es findet Auseinandersetzung statt. Es braucht physische sowie auch innere Kräfte, das Material umzuwandeln, aus dem Naturgemässen z. B. einem rohen Holzklotz, ein «nützliches» und darüber hinaus ein «schönes» Werkstück zu gestalten.
8. Klasse – Holz oder Ton, was liegt dir näher?
Die Bearbeitung des Holzes sowie das freie Gestalten mit Ton stehen im Zentrum. Die Jugendlichen befinden sich in diesem Lebensabschnitt in einer Neuorientierung ihrer Persönlichkeit. Durch die Gestaltung von Innenräumen, durch die Verbindung von äusseren und inneren Formkräften, wird im Werken diese Thematik aufgegriffen und der junge Mensch dadurch in seinem Werdegang unterstützt.
9. Klasse
Schreinern – vom Plan zum Möbelstück – oder lieber Pfeilbogenbau?
Exaktes, genaues Arbeiten steht im sechswöchigen Projektarbeiten (vier Lektionen pro Woche) im Vordergrund. Ein eigenes Möbelstück kann entstehen, oder der Bau von einem Pfeilbogen.
Der Gedanke, die Vorstellung wird heruntergeführt ins praktische Tun. Zuerst wird ein Plan, eine Vorlage angefertigt, damit der ganze Werdegang ersichtlich wird. In der Ausarbeitung lernt die Schülerin, der Schüler den fachgerechten Umgang mit den verschiedenen Werkzeugen.
Kupfertreiben – keine Angst vor Hitze!
Neue Sinneserfahrungen eröffnen sich dem Schüler in der Bearbeitung des Metalls. Wie wirkt das Feuer auf die Beschaffenheit des Kupfers, was für arbeitstechnische Prozesse sind notwendig, bis aus einer rohen Kupferplatte ein schönes, veredeltes Werkstück entsteht?
Plastizieren – Weich wie Ton
Im Plastizieren drückt sich eine unmittelbare Schaffenskraft des Menschen aus. Durch das Material Ton ist die Schülerin, der Schüler, anders als mit Holz, im Gestalten freier, da in jedem Augenblick Material hinzu gefügt und wieder weggenommen werden kann. Es ist ein Gestalten aus dem Augenblick gefragt; innere Regsamkeit, Beweglichkeit und Phantasie werden erübt.
10. Klasse
Korben / Flechten – Von der Weide zum Korb
Ein weiteres, uraltes Handwerk will kennen gelernt und erprobt werden: das Flechten von Gebrauchsgegenständen, zum Beispiel einem Korb. Modernes Design gefällig?
Steinhauen – wach auf!
Das Steinhauen bildet den Höhepunkt im plastischen Schaffen. Da der Stein an sich der Schwere hingegeben ist, besteht die Aufgabe der Jugendlichen darin, Aufrichtemomente herauszuarbeiten. Sie müssen gestaltend so einzugreifen versuchen, dass durch Flächenbewegung und Flächenbezüge eine neue, eigene Form entsteht. Mit jedem Schlag entsteht ein Aufwachmoment, der die Jugendlichen in ihrem Ich anspricht.